Hotel: | Schlafwagen der SBB / Verbindung Hamburg-Zürich |
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Anzahl Zimmer: | 22 pro Waggon |
Eröffnung: | 1995 (Einsatz der Doppelstockwagen) |
Test: | Januar 2022 |
Bezahlte Rate: | 209,90 inklusive Frühstück (zugestiegen wurde in Hannover) |
Das Thema Schlafwagen sorgt schon länger wieder für Furore. Es klingt auch verlockend, die Nacht zu nutzen, um große Distanzen zu überwinden. Dazu kommt: Nachhaltig- und Achtsamkeit sind starke Treiber. Nachhaltig reisen, Zeit für sich haben und in pandemischen Zeiten anderen auch noch aus dem Weg gehen können. So ein Schlafwagenabteil kann man schließlich ganz für sich allein haben.
Dabei ist es gar nicht lange her, dass die Deutsche Bundesbahn (DB) glaubte, mit Nachtzügen weder Geschäft machen noch Fahrgäste halten zu können und stellte den Nachzug-Betrieb 2016 ein. Die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) hingegen dachte anders, übernahm die nicht mehr benötigten Waggons der DB, ergänzte damit den schon vorhandenen Bestand und setzt diese Flotte seitdem fleißig auf immer mehr Strecken ein. Auch die Schweizerische Bundesbahn (SBB) greift seitdem wieder darauf zurück, nachdem sie 2009 aus dem Nachtzuggeschäft vorrübergehend ausgestiegen war, und lässt diese, unter ihrem Namen, aber von der ÖBB betrieben, auf attraktiven Strecken rollen.
Aber handelt es sich nun um ein Hotel auf Rädern? Oder ist das Bett nur Nebensache und die Beförderung die Kernleistung? Die Seiten der SBB im Internet lassen eine Interpretation in Richtung fahrbares Hotel zu, da dort schon sehr deutlich der Komfort der Beherbergung für eine Nacht herausgestrichen wird: „Nach einer komfortablen Nacht im Nightjet kommen Sie ausgeschlafen mitten in…Reiseziel….an.“ und auch das Wort „Deluxe-Abteil“ wird aktiv genutzt. Aber kann hier ein Schlafwagen mit dem Komfort eines Hotels mithalten? Wieviel Komfort braucht es und wieviel Kompromissfähigkeit wird abverlangt? Das wollte die Redaktion herausfinden und hat die Reise mit der SBB via ÖBB auf sich genommen, wohl wissend, dass die Messlatte der Kriterien hier sicherlich anders anzusetzen ist.
Buchung & Check-In
Die Buchung erfolgte in einem Reisebüro. Das Angebot für die höchste Kategorie, das Deluxe-Abteil, bietet gemäß Internet eigenes Bad mit Waschbecken, Dusche und WC, mit frischer Wäsche bezogene Betten, Welcome-Paket, umfangreiches Frühstück, Steckdose, Duschgel und Handtücher. Es wird in vielen Beiträgen hervorgehoben, dass im Schlafwagen Betten zum Einsatz kommen, im Gegensatz zu Pritschen in den Liegewagen, aber wie hier Bett definiert wird, ist nicht zu erfahren. Die online einsehbaren Bilder vermitteln ein tadelloses Ambiente. Im Zug wird noch nach Wünschen aus der Bordküche gefragt, Inhalt und Uhrzeit des Frühstücks vereinbart sowie mit acht Uhr die gewünschte Weckzeit, eine Stunde vor dem Erreichen des Ziels.
Ausstattung
Bei dem hier eingesetzten Waggon handelte es sich um einen doppelstöckigen, wobei die Abteile längs der Fahrtrichtung übereinander liegen und über einige Stufen zu erreichen sind. Öffnet man die Türe, so betritt man mittig ein 3,5 Meter langes und 1,2 bis 1,8 Meter tiefes Abteil mit einer mittleren Stehhöhe von zirka 185 Zentimetern. Hinter einer Falttüre befindet sich auf der linken Seite die Badnische. Auf der rechten Seite des Abteils und quer zur Fahrtrichtung erstreckt sich dann die Liegefläche im Format 80 Zentimeter breit, 180 Zentimeter lang und ausgestattet mit einer 10 Zentimeter hohen Schaumauflage – Matratze möchte man dazu nicht sagen – samt Matratzenschutzbezug. Da sich über dieser Liegefläche noch eine zweite ausklappen lässt, liegt das Kopfende der unteren, bedingt durch einen Überbau, in einer 31 Zentimeter tiefen und nur 37 Zentimeter hohen Nische. Dabei unterscheidet sich die Ausführung der Etagenbetten in diesem Abteil von jenen, die im Internet gezeigt werden, wo kein solcher Überbau zu sehen ist. Die Schlafstätte selbst ist mit zwei Kissen im Format 40 x 60 Zentimeter und einer Füllung aus Polyesterfasern ausgestattet. Die Einziehdecke, ebenfalls mit Polyesterfüllung, ist sogar noch eine Reminiszenz aus vergangenen Tagen und trägt das Logo der Deutschen Bundesbahn. Selbige war mit der Bettwäsche falsch herum, also auf links bezogen. Unter der Matratze befindet sich eine Art Lattenrost, der aber aufgrund mangelndem Federweg keinerlei Federungskomfort bietet. Pritsche würde es treffender beschreiben. Das ist nicht nur alles etwas dürftig, sondern sieht auch so gar nicht nach den Bildern aus, die im Internet zu sehen sind. Auch der Abgleich mit der beworbenen Ausstattung ernüchtert. Es sieht weder wie frisch bezogene Wäsche aus, noch sind Handtücher vorhanden. Mit „Deluxe“ kann also kaum die Ausstattung gemeint sein, sondern wohl eher die fünf Quadratmeter abgeschirmten Raum zur eigenen Nutzung. Auch sehen Abteil und Ausstattung leider sehr mitgenommen aus, mit deutlichen Gebrauchsspuren. Gemäß vorhandenen Quellen wurden diese Doppelstockwagen 1995 von der ÖBB eingeführt, sind gefühlt seitdem auch unverändert im Einsatz.
Schlafkomfort
Bei einem Hotel auf Rädern gewisse Kompromisse schließen zu müssen, leuchtet ein, aber 180 Zentimeter Bettlänge sind eine Zumutung. Eingedenk der Tatsache, dass Personen ab einer Körperlänge von 180 Zentimetern ein Bett in Überlänge, also länger als 200 Zentimetern für optimalen Schlafkomfort benötigen, ist die hier vorhandene Bettlänge für viele Reisegäste nicht ausreichend. Wer dennoch darin seinen Platz gefunden hat, macht unweigerlich Bekanntschaft mit dem Überbau am Kopfende. Dieser ist zwar schon extra gepolstert, damit die Stöße mit dem Kopf nicht ganz so hart ausfallen, aber man stößt sich unweigerlich. Denn eine Nacht reicht nicht aus, um das notwendige Ausweichmanöver zur Vermeidung von Kopfstößen in den Automatismus der Bewegungsabläufe zu überführen. Aufgrund der fehlenden Unterfederung und bei nur 10 Zentimeter Schaumauflage – diese zudem lange über ihrem Zenit – ist von Komfort keine Spur. Wer sich damit dennoch hat arrangieren können, merkt, wie sinnvoll die Ohrstöpsel im Welcome-Paket sind. Denn bei einer gemessenen Geräuschkulisse von 74 Dezibel und mehr, in Spitzen auch länger über 90, braucht es die Ohrstöpsel aus dem Welcome-Paket, so man sich mit deren Gebrauch anfreunden kann. Ja, Schlafen geht, aber in Summe eher nur Notschlafen. Gemessen an der geweckten Erwartungshaltung leider unbefriedigend.
Hygiene
Der optische Eindruck, Teppich mit Jahresringen (da freut man sich über die Slipper aus dem Welcome-Paket), Schmutz in den Sesseln, starke Gebrauchsspuren und ein nicht wirklich sauberes Bad & WC (nicht Gegenstand des Tests, aber gleichwohl geprüft), setzt sich beim Bett fort. Flecken auf Kissen und Matratze, Schuhsohlenabdruck auf dem Matratzenschutz und ein schlecht bezogenes Bett wirken nicht wirklich beruhigend. Allerdings sind die gemessenen Hygienewerte beim Bett dann nicht so schlimm wie befürchtet. Hier wird tatsächlich das Versprechen „frischer Wäsche“ gehalten. Ausreißer sind lediglich die Kissen. Aber mit einem Hygieneindex von unter 2.000 KbE (koloniebildende Einheit) schafft es die SBB sogar in die Hygieneklasse 2, was wirklich gut ist. Doch was nützt ein guter Laborwert, wenn der Gast nur auf Basis visueller Eindrücke sein Urteil fällen kann. Schließlich schläft das Auge mit.
Check-out
Der angebotene Weck-Service um acht Uhr durch den Zugbegleiter klappt nicht ganz, da hier die Rechnung ohne die Grenzbeamten gemacht wurde. Da wird bereits um 7:25 höflich, aber energisch an der Türe geklopft, um sich die Papiere zeigen zu lassen. Das geht in Ordnung, aber da der Zug ja nicht zum ersten Mal in dieser Richtung unterwegs ist, wäre es für den erstmals Reisenden hilfreich, über jenes Zeitfenster informiert zu werden, wo mit der Grenzkontrolle zu rechnen ist. Das Frühstück kommt wie bestellt pünktlich um acht Uhr und auch der Zug läuft fast auf die Minute genau im Bahnhof Zürich ein.
Das sagt das Hotel
Hier wurde bei der SBB nachgefragt, weil die getestete Zugverbindung auf den Seiten der SBB angeboten wird und die Züge außen den Schriftzug der SBB tragen. Wer seinen Namen auf ein Produkt schreibt, sollte auch für den Inhalt verantwortlich sein, zumindest Auskunft geben können. Das konnte die SBB auch, allerdings erst nach Rücksprache mit der ÖBB. So sind tatsächliche verschiedene Versionen von Schlafwagen respektive Nachtzügen unterwegs. Die SBB hat dabei aber keinen Einfluss auf die Komforteigenschaft und Ausstattungsmerkmale. Auf die Frage, was aus Sicht der SBB bei den Schlafwagen im Vordergrund stehen sollte, wird in der Antwort schon festgestellt, dass aus Kundensicht Komfort und Ausstattung relevant seien und dazu unter anderem auch ein bequemes und ausreichend großes Bett gehöre, ebenso wie eine Schallisolierung. Es wird aber auch der Hinweis gegeben, dass „der Betrieb von Schlafwagen immer eine Suche nach dem bestmöglichen Kompromiss aus Kundenwusch und dem Machbaren auf der Schiene“sei.
Fazit
Mit Neugierde und großem Wohlwollen wurde diese Reise angetreten. Denn die Idee der Nachtzüge ist gut, grün und verlockend. Auch wurde mit Kompromissen gerechnet, alles andere wäre unfair. Aber Beschreibungen wie „Deluxe-Abteil“ und „komfortable Nacht“ sowie die gezeigten Bilder im Internet schaffen nun mal eine Erwartungshaltung. In der hier gebotenen Ausführung muss man von dem Gedanken eines Hotels auf Rädern aber Abstand nehmen. Weder handelt es sich um eine komfortable Nacht, noch erreicht man wirklich ausgeschlafen sein Ziel. Das ist mehr als schade, denn es geht auch sicher anders, was die Entwicklung der neuen Generation von Nightjets vermuten lässt. Natürlich muss bei diesem Test die Frage beleuchtet werden, ob die Erwartungen zu hoch angesetzt waren. Doch wer mit seinem eigenen Marketing einen wahrnehmbaren Unterschied zwischen Angebot und tatsächlicher Leistung produziert, setzt sich damit auch der Gefahr aus, ein definiertes Maß an Enttäuschung zu schaffen.
Empfehlung
Eine gute Idee bleibt gut, doch das Marketing darf nicht mehr versprechen, als letztlich gehalten werden kann. So sollte dem Gast nicht verschwiegen werden, mit welcher Version eines Nachtzuges er seine Reise antritt und welche Unterschiede vielleicht im Komfort zu erwarten sind. Überprüft werden sollten auf jeden Fall die Bettmasse wie auch die Bettausstattung. Im Kern handelt es sich um eine Beförderung, wobei der Gast die Wahl hat, den Komfort seiner Beförderung zu wählen. Solange die dafür gebotenen Liegemöglichkeiten aber keinen bettgleichen Komfort bieten, sollte man diese auch nicht so verkaufen. Es bleibt ja der Vorteil, das Ziel im Vergleich deutlich entspannter und nachhaltiger zu erreichen als nach kraftraubender Autofahrt oder stressigem Flug, mit entsprechend negativem ökologischen Fußabdruck. Das Thema Schlafwagen hat genug Begeisterungspotenzial, es braucht keine Übertreibungen.