Neues Jahr – neues Glück? Weitere arbeitsrechtliche Herausforderungen und Urteile

Neues Jahr – neues Glück? Weitere arbeitsrechtliche Herausforderungen und Urteile

Ein Weckruf für Unternehmer – alles rund um die Trennungsphase

Liebe Leserinnen und Leser,

ETL ADHOGA freut sich, Ihnen die Kolumne „Alles was Recht ist“ zu präsentieren. Bei ETL ADHOGA sind die Experten für Steuerberatung in Hotellerie und Gastronomie. Deutschlandweit unterstützen und beraten wir mehr als 1.000 Hoteliers und Gastronomen, damit diese sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Gemeinsam mit meiner Kollegin, Rechtsanwältin Aigerim Rachimow, möchte ich, Erich Nagl, Leiter bei ETL ADHOGA, Ihnen mit dieser Expertenkolumne auch in rechtlichen Fragen zur Seite stehen. Wir geben wertvolle Expertentipps und Empfehlungen, klären Missverständnisse auf und zeigen Ihnen, wie Sie Probleme mit Verwaltungen sowie Herausforderungen in der Praxis meistern können. Das Wort hat zuerst Aigerim Rachimow:

Schon im vergangenen Monat haben wir den Dschungel des Arbeitsrechts einmal „durchkämmt“. Unser Hauptaugenmerk lag dabei auf dem Themenbereich „Loyalität und Abwerbemethoden von Unternehmen“. Abschließend befassten wir uns mit Krankschreibungen von Arbeitnehmern.

Der Fall und das Urteil

Lassen Sie uns den besprochenen Fall noch einmal rekapitulieren: Das Arbeitsgericht Berlin fällt am 19. März 2024 ein interessantes Urteil, das genau zeigt, wie schwierig es ist, die Echtheit einer Krankmeldung anzuzweifeln. Eine Reinigungskraft fiel während ihrer Kündigungsfrist krankheitsbedingt aus. Der Arbeitgeber hatte Zweifel an der Gültigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, da die Klägerin kurz zuvor Urlaub beantragt hatte, der abgelehnt wurde. Im Urteil wird der Klägerin der Zahlungsanspruch zugesprochen, da das Gericht nach der Vernehmung des Arztes von einer echten Arbeitsunfähigkeit (aufgrund einer Erschöpfungsdepression) überzeugt ist.

Maßstäbe der Beweisführung: Anforderungen an ärztliche Diagnosen

Das Gericht legt im Urteil drei Faktoren fest, die für die richterliche Überzeugungsbildung im Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung des Arztes maßgeblich sind:

1.         Persönliche Untersuchung: Das Gericht erwartet, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einer unmittelbaren persönlichen Untersuchung des Arbeitnehmers beruht. Eine kurze, aber zielgerichtete Untersuchung, um den aktuellen Gesundheitszustand zuverlässig zu beurteilen.

2.         Berücksichtigung des individuellen Arbeitsprofils: Ein sachverständiger Arzt muss den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand des Arbeitnehmers im Kontext der spezifischen Anforderungen seiner Tätigkeit berücksichtigen. Es ist entscheidend, dass der Arzt die Besonderheiten der ausgeübten Tätigkeit in die Diagnose einbezieht.

3.         Ernsthaftigkeit der Diagnose: Das Gericht verlangt hinreichende Gewissheit, dass die festgestellte Erkrankung tatsächlich zu einer Arbeitsunfähigkeit führt. Der Arzt muss die spezifische Belastung und die Anforderungen der Tätigkeit in seine Beurteilung einbeziehen, um die Kausalität der Diagnose für die Arbeitsunfähigkeit zu bestätigen.

Lehren für Gastronomen und Hoteliers

Das Urteil stellt eine wichtige Weiterentwicklung in der Rechtsprechung zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dar und könnte langfristig zu einer stärkeren Sensibilisierung bei Arbeitnehmern in Bezug auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen führen. Arbeitgeber werden zunehmend in die Lage versetzt, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kritisch zu hinterfragen und die Aussage des behandelnden Arztes als zentrales Beweismittel heranzuziehen, ohne dass die grundsätzliche ärztliche Unabhängigkeit beeinträchtigt würde. Hierdurch könnten präventive Maßnahmen entwickelt werden, um ungerechtfertigten Fehlzeiten entgegenzuwirken und die Effizienz des Unternehmens zu steigern.

Arbeitgeber, die den Verdacht auf Gefälligkeitsbescheinigungen haben, können künftig vermehrt auf eine Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes setzen. Dies gilt jedoch nur, wenn fundierte Zweifel an der Diagnose bestehen und der Arbeitgeber diese hinreichend substantiiert darlegen kann.

Für die Praxis hat sich bereits jetzt ein erheblicher Wandel im Umgang mit Krankheit und Arbeitsunfähigkeit vollzogen: Arbeitgeber sollten daher verstärkt dokumentieren, wenn Verdachtsmomente bestehen, und sich gegebenenfalls rechtzeitig anwaltlich beraten lassen. Es ist empfehlenswert, klare Regelungen zur Melde- und Nachweispflicht bei krankheitsbedingtem Fehlen zu etablieren, um den Ablauf im Falle von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zu optimieren.

Was passiert nach einer (unwirksamen) Kündigung?

Dann stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber den rückständigen Lohn als Annahmeverzugslohn für die Dauer des Arbeitsgerichtsprozesses zahlen muss. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat am 11. September 2024 dazu ein Urteil (Az. 4 Sa 10/24) gefällt, das Arbeitgeber aufhorchen lässt: Wenn ein Mitarbeiter nach einer unwirksamen Kündigung stur zu Hause bleibt, anstatt sich einen neuen Job zu suchen, kann das teuer werden. Der Arbeitgeber muss nämlich beweisen, dass dem Mitarbeiter zumutbare Jobs tatsächlich zur Verfügung stehen.

Die Kernfrage dabei war, ob und unter welchen Umständen ein Arbeitnehmer sich das Einkommen anrechnen lassen muss, das er hätte erzielen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Der Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer wurde von seinem Arbeitgeber außerordentlich gekündigt, und die Kündigung wurde später gerichtlich als unwirksam entschieden. Trotz der Verfügbarkeit anderer Beschäftigungsmöglichkeiten unternahm der Arbeitnehmer keine Versuche, eine neue Stelle zu finden, sondern bestand darauf, zu seinem ursprünglichen Arbeitgeber zurückzukehren. Nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage forderte er Annahmevergütung für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit.

Das LAG entschied, dass der Arbeitgeber die Beweislast dafür trägt, dass dem Arbeitnehmer während des Verzugszeitraums zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten tatsächlich bekannt waren. Erstmalig präzisierte das Gericht, dass nachträglich präsentierte Stellenangebote, die während des Verzugszeitraums auf dem Internetportal der Agentur für Arbeit eingestellt waren, nicht ausreichen, um eine böswillige Unterlassung durch den Arbeitnehmer zu begründen.

Die Revision wurde für die Beklagte zugelassen, da das LAG von der Rechtsprechung des BAG (7. Februar 2024 – 5 AZR 177/23) abgewichen ist. Die Revision ist dort anhängig (Az.: 5 AZR 273/24).

Lehren für Gastronomen und Hoteliers

Für Arbeitgeber ergeben sich daraus erhöhte Anforderungen an die Dokumentation und Kommunikation während des Verzugszeitraums. Es empfiehlt sich, zukünftige und aktive Stellenangebote anderer Arbeitgeber an gekündigte Mitarbeiter zu kommunizieren und entsprechende Nachweise über die Zustellung und Kenntnisnahme durch den Arbeitnehmer zu sichern. Insbesondere im Bereich der Hotellerie und Gastronomie sollte dies gelingen, um wenigstens das Annahmeverzugslohnrisiko zu minimieren.

Das Fazit

Arbeitgeber, aufgepasst! Die Rechtslage ist ständig in Bewegung. Das Bundesarbeitsgericht hat noch ein Wörtchen mitzureden, und bis dahin ist alles möglich.

Sicher ist nur: Die Hotellerie und Gastronomie bleiben in Bewegung, und wer clever navigiert, kann nicht nur rechtliche Klippen umschiffen, sondern auch als attraktiver Arbeitgeber punkten.

Um rechtlichen Problemen vorzubeugen, ist es für Gastronomie- und Hotelbetriebe essenziell, die Dynamik in Bezug auf Mitarbeiterbindung und Kommunikation während der Trennungsphase strategisch zu gestalten. Es gilt, fair, transparent und rechtlich einwandfrei zu handeln. Denn in der Gastronomie ist der Mensch das Herzstück jedes Unternehmens, ganz besonders, wenn der Wettbewerb um Talente sich zuspitzt.

Also, liebe Gastronomen und Hoteliers: Bleiben Sie wachsam, kreativ und fair, dann kann das neue Jahr tatsächlich neues Glück bringen! Oder wie sehen Sie das, Kollege Nagl?

Aigerim argumentiert, dass das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin eine wichtige Weiterentwicklung in der Rechtsprechung zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen darstellt und Arbeitgebern ermöglicht, diese kritisch zu hinterfragen. Man könnte aber auch behaupten, dass diese Entwicklung die Vertrauensbasis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiter erodiert.

Abgesehen von den hohen Hürden, die genommen werden müssen, um ein ärztliches Attest erfolgreich anzufechten, ist ein solches Vorgehen Zeugnis von tief zerrütteten Verhältnissen. Anstatt präventive Maßnahmen zu fördern, könnte diese Praxis dazu führen, dass Arbeitnehmer sich zunehmend überwacht fühlen. Dieses empfundene Misstrauen beeinflusst die Arbeitsmoral und das Betriebsklima negativ. Das Schlimmste daran ist: Die Gäste werden dies wahrscheinlich als Erste spüren. Arbeitgeber sollten sich daher eher auf den Aufbau eines vertrauensvolles Arbeitsumfelds konzentrieren, anstatt die ärztliche Unabhängigkeit infrage zu stellen.

Die Tipps zum zweiten Urteil haben mich amüsiert und gelehrt: Auch in Phasen der Trennung sollte man Dienstleister bleiben, um so das Annahmeverzugslohnrisiko zu senken. Arbeitgeber unterstützen künftig den hoffentlich scheidenden Arbeitnehmer, indem sie ein mit wohlwollenden Unwahrheiten ausgestattetes Zeugnis ausstellen und am besten mit gleicher Post und unerschütterlichem Zustellnachweis zehn aktuelle Stellenangebote mitsenden.

Arbeitgeber haben es nicht leicht und es braucht Disziplin sowie eine ausgefeilte Kommunikationsstrategie, um am Ende nicht das Nachsehen zu haben. Also dranbleiben und die Entwicklungen der Rechtsprechung erkennen und – wenn möglich – sich danach ausrichten.

Herzlichst,
Ihr Erich Nagl