Selbst schuld?
Was der Branche wirklich hilft
In dieser Ausgabe unserer regelmäßigen Kolumne bieten wir keine leichte Kost. Eher etwas, das schwer im Magen liegen könnte. Heute geht es ans Eingemachte. Nein, keine Nestbeschmutzung. Aber auch kein reiner Blick von außen auf das Gastgewerbe. Sachlich und keinesfalls polemisch, sondern eine wirklich wohlmeinende, kritische Betrachtung einer Branche, die mehr denn je nach Orientierung sucht, nach Lösungen, die wirklich helfen. Die Autoren der Kolumne laden zu einer Gedankenreise ein. Nicht das übliche Gejammere über Fachkräftemangel, nörgelnde Gäste und unzureichende Margen. Stattdessen ein ehrlicher Blick auf das, was ist und das, was passieren muss. Eine Einladung, ein wenig nachzudenken.
Am Anfang war das Wort
Worte hat es wahrlich genug gegeben. Worüber ist nicht schon gesprochen worden? Eigentlich über alles. Vor allem über eines: Die Stimmung ist schlecht, Lösungen nicht in Sicht, die Lage scheint hoffnungslos. Und dann immer wieder ganz viele Worte, die im Kern einen Zustand beschreiben, ohne dass ein echter Wille zur Veränderung erkennbar wäre. Gewissermaßen eine Spirale, die sich mit jedem Wort weiter nach unten zu drehen scheint. WAS TUN?
Es tut sich nichts!
Als Jurist und vor allem als Arbeitsrechtler begleitet der Autor seit Jahrzenten Unternehmerinnen und Unternehmer auf ihrer Reise als Gastronom und Hotelier. Rückblickend lässt sich sagen, dass sich in dieser Zeit rechtlich wenig bis gar nichts verändert hat. Immer noch dieselben langweiligen Arbeitsverträge mit den vielen Paragrafen, die längst nicht jeder Laie versteht. Darin enthalten ist beispielsweise eine Probezeit, deren Sinn sich selbst dem Unternehmer auf Nachfrage nicht erschließt, weil er – völlig irrig – Probezeit und Kündigungsschutz miteinander verwechselt. Und dazu haufenweise unwirksame Regelungen wie etwa im Zusammenhang mit einer Nebentätigkeitserlaubnis oder auch bei Vereinbarungen über die Arbeitszeit.
Der Autor bekennt sich dazu, in den Anfängen seiner Arbeit gleichfalls häufig Irrtümern erlegen gewesen zu sein. So etwa die Annahme, dass ein schlechter schriftlicher Arbeitsvertrag immer noch besser sei als der Vertrag, der – jedenfalls in schriftlicher Form – gar nicht existiert. Völliger Quatsch! Ein Arbeitsvertrag ist ja kein Selbstzweck. Lediglich bei der geringfügigen Beschäftigung, dem Minijob, sollte man, ja muss man sicherlich eine Ausnahme machen. Auch wenn es ein wenig schmerzt, es so zu formulieren: Letztlich zeigt sich in der jahrelangen Verwendung inhaltlich unveränderter Arbeitsverträge in vielen Fällen exemplarisch die fehlende Bereitschaft zur Veränderung; der fehlende Wille, die Dinge einmal neu zu denken. Der Arbeitsvertrag – ein Ding, das letztlich keiner so richtig versteht, genutzt aus Gründen, die keiner so richtig kennt.
Wo ist denn das Problem?
Die Probleme liegen auf der Hand. Die Branche – das hat sie übrigens mit anderen Branchen gemeinsam – bietet häufig keine attraktiven Arbeitszeiten. Die angebotenen Arbeitsverhältnisse sind eben keine Bürojobs „Nine to Five.“ Die Vergütung der Arbeitnehmer orientiert sich in vielen Fällen leider an den Grundsätzen möglichst effektiver Steuer- und Abgabenvermeidung. „Mehr Netto vom Brutto!“ lautet das Glaubensbekenntnis, ohne dass es wirklich gesicherte Erkenntnisse darüber gibt, ob dies in allen Fällen der Erwartungshaltung des betroffenen Arbeitnehmers entspricht. Und wenn wir schon über mehr Netto sprechen: Leider fehlt es in vielen Betrieben auch nach Jahrzehnten des Nachdenkens an wirklich leistungsfördernden Anreizen, etwa im Umgang mit dem Trinkgeld. Da reden wir (noch) nicht über den kreativen Koch, an den kaum ein Gast denkt. Da sprechen wir beispielsweise über die wirklich gute Servicekraft, die infolge eines Akts der Gleichmacherei nicht mehr an Trinkgeld erhält als derjenige, der im Wesentlichen durch pünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz glänzt. Wer an dieser Stelle in kluge Formulierungen eines Arbeitsvertrages investiert, hat längst nicht alle Probleme seiner Branche im Griff. Aber er zeigt, dass er sich Gedanken macht und über einen Weg nachdenkt, der die ausgetretenen Pfade verlässt. Als erster, kleiner Schritt gewissermaßen.
Ja, wir reden über Geld!
Und natürlich muss über Geld gesprochen werden. Es hilft nichts: Die Bezahlung war und ist in vielen Fällen unzureichend, einfach nicht ausreichend wertschätzend. Denn dem Unternehmer fehlt der Mut, von seinen Gästen für gute Leistung anständiges Geld zu verlangen. Wo aber solcher Mut fehlt, gibt es auch keine Möglichkeit der anständigen Vergütung leistungsbereiter Arbeitnehmer. Und wer jetzt gleich sagt, dass es diese Arbeitnehmer ja ohnehin nicht gäbe, der hat natürlich schon verloren. Apropos verloren: Ja, Corona hat vieles verändert. Und manch einer, der vorher in der Hotellerie und Gastronomie beschäftigt war, arbeitet vielleicht aktuell in der Pflege. Aber auch dort ist nicht alles Gold, was glänzt. Und die Arbeitszeiten in der Pflege sind vielfach noch einmal deutlich unangenehmer als da, wo der Arbeitnehmer herkommt.
Also selbst schuld? Nein, so allgemein ist das sicherlich nicht richtig. Da wird man der Arbeit vieler engagierter Angehöriger der Branche und auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht gerecht. Aber im Einzelfall kann das schon so sein.
Erich Nagl – Einspruch, euer Ehren
Selbstkritik tut Not, Selbstkritik kann, nein muss sogar weh tun, um dringend notwendige Veränderungen anzuschieben. Das gilt selbstverständlich auch für die Jahrtausende alte Branche des Gastgewerbes. Und wer wollte angesichts der multiplen Krisen – Krieg, Corona-Folgen, Lieferketten und Beschaffungsprobleme, Inflation und Preissteigerungen, um nur einige zu nennen – widersprechen, wenn mein geschätzter Kollege Herr Dr. Uwe P. Schlegel angesichts der vielen und sich teilweise schon sehr lange abzeichnenden Schwierigkeiten den Vertretern der Branche einmal kräftig ins Gewissen redet. Schließlich sind die oben angerissenen Themen – Arbeitszeit, Arbeitsvertrag, Attraktivität, Vergütung, Umgang mit den Mitarbeitern – auch in dieser Kolumne regelmäßig und wiederkehrend Gegenstand der Betrachtungen. Langjährigen Beobachtern der Hotellerie und Gastronomie mag es da fast scheinen, als wollten Teile der Branche nicht aus den alten Fehlern lernen.
Doch hoffnungslos ist die Lage keinesfalls – jedenfalls nicht für die Teile des Gastgewerbes, welche die richtigen Schlüsse aus der angespannten Lage zu ziehen im Stande sind. Und davon gibt es einige positive Beispiele. Zahlreiche Gastronomen und Hoteliers haben sich auf den Weg begeben und probieren neue Dinge aus. Ob bei der Optimierung und Standardisierung von Prozessen, bei der Entwicklung und Erprobung digitaler Strategien für den eigenen Betrieb oder der Verbindung von Emotionen und Effizienz im Umgang mit den Gästen: Die Transformationskräfte des Gastgewerbes sind überall zu sehen. Die Branche hat in ihrer langen Geschichte eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Reflektion, Flexibilität und Transformation unter Beweis gestellt. Sie tut dies gerade wieder.
Doch die Lage bietet dem mutigen und weitsichtigen Unternehmer alle Chancen, erfolgreich in die Zukunft zu gehen. Ein „Weiter so“ kann nicht der Weg sein – ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass die Branche das erkannt hat. Eine offene, kritisch-solidarische Diskussionskultur kann dabei nur helfen. Wir hoffen, mit unserer Experten-Kolumne „Alles was Recht ist“ weiterhin einen bescheidenen Beitrag dafür zu leisten.