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Zum Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Das Bundesarbeitsgericht stellt sich auf die Seite betroffener Arbeitgeber!

Hier kennt der Gesetzgeber keinen Spaß: Arbeitnehmern und Auszubildenden steht im Krankheitsfall für bis zu sechs Wochen wegen derselben Krankheit das Recht auf volle Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber zu. Was eine wichtige Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft hierzulande darstellt, öffnet Arbeitnehmern in der Praxis allerdings mitunter Tür und Tor für Missbrauch und Betrug. In einem aufsehenerregenden aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht nun entschieden, dass Arbeitgeber einer zeitgleich mit einer Kündigung eingereichten Krankschreibung nicht immer glauben müssen. Was das Urteil für Arbeitgeber in der Hotellerie und Praxis bedeutet und welche Konsequenzen es über den Einzelfall hinaus hat, kommentiert Dr. Uwe P. Schlegel in der aktuellen Ausgabe von „Alles was Recht ist“.

Es ist allgemein bekannt, dass die Arbeitsgerichte nicht die Orte sind, an denen Arbeitgeber große Erfolge feiern können. Meistens steht der Verlierer einer gerichtlichen Auseinandersetzung schnell fest − es ist der Arbeitgeber. Das mag erst einmal nicht verwundern, wenn man sich klar macht, dass das Arbeitsrecht gemeinhin als Arbeitnehmerschutzrecht begriffen wird. Da können die Chancen des Arbeitgebers – jedenfalls im Regelfall – nicht allzu hoch sein. Umso mehr muss es erstaunen, wenn ein Arbeitsgericht, hier das Bundesarbeitsgericht (BAG) als höchstes Gericht in Arbeitsrechtssachen, zugunsten eines Arbeitgebers entscheidet. Und zwar in einem Fall, der in der Praxis durchaus häufiger vorkommt.

Was war passiert?
Eine Arbeitnehmerin hatte ihr Arbeitsverhältnis Anfang Februar 2019 mit einer 14-Tages-Frist gekündigt und dem Arbeitgeber eine auf den Tag des Ausspruchs der Kündigung datierte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, eine sog. Erstbescheinigung, vorgelegt. Damit hatte sie versucht, vom Arbeitgeber für die Zeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu erlangen. „Rein zufällig“ war die Dauer der von der späteren Klägerin (Arbeitnehmerin) behaupteten Erkrankung exakt so lange wie die Restlaufzeit des beim Arbeitgeber (späterer Beklagter) noch bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltzahlung, weil er der Auffassung war, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei; die sich auf die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses erstreckende angebliche Erkrankung der Arbeitnehmerin könne allein durch ein ärztliches Attest nicht ausreichend unter Beweis gestellt werden. Während die Arbeitsgerichte in erster und zweiter Instanz der klagenden Arbeitnehmerin Recht gaben, wies das BAG in dritter und letzter Instanz die auf Zahlung gerichtete Klage der Arbeitnehmerin rechtskräftig ab (BAG, Urt. v. 08.09.2021 – Az. 5 AZR 149/21). Das BAG wollte, anders als die Vorinstanzen, an so viel Zufall bei der Dauer der von der Arbeitnehmerin behaupteten Krankheit nicht glauben.

Ein Einzelfall oder eine Entscheidung mit Folgen auch für andere Fälle?
Nun stellt sich für die Praxis die Frage, ob die Entscheidung lediglich einen Einzelfall betrifft oder nicht eine Kehrtwende in der Rechtsprechung bedeutet. Dürfen zukünftig ärztliche Atteste generell angezweifelt werden? Was können betroffene Arbeitgeber fortan tun, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen mit tatkräftiger Unterstützung der ärztlichen Zunft nicht die Wahrheit erzählt wird?

Zunächst ist festzuhalten, dass das Urteil des BAG einen Fall betrifft, der Besonderheiten aufweist. Das fängt mit der „Passgenauigkeit“ der von der Arbeitnehmerin behaupteten Krankheit an. Diese begann am Tag der Abgabe der Kündigungserklärung und endete exakt am letzten Tag der Kündigungsfrist. Diese Passgenauigkeit führt nach Einschätzung des BAG dazu, dass der Beweiswert des ärztlichen Attests erschüttert wurde. Des Weiteren hatte die Arbeitnehmerin, nachdem sie durch das Bundesarbeitsgericht auf Zweifel am Beweiswert der von ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufmerksam gemacht worden war, dem Gericht nichts „Entlastendes“ vorgetragen, sodass dem BAG nichts anderes übrig blieb, als die Klage abzuweisen. Zwingend ist das aber in nur leicht anders gelagerten Fällen nicht! In der Presseerklärung des BAG heißt es wie folgt:

„Die Klägerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer (…) darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.“

Das bedeutet: Wenn der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein sollte – so wie im durch das BAG entschiedenen Fall – steht es dem Arbeitnehmer frei, die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auf anderem Weg zu beweisen. Wie der Pressemitteilung des BAG zu entnehmen ist, kann das insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes durch ein Gericht bzw. Arbeitsgericht geschehen. Sollte der Arzt dann eine Zeugenaussage ganz im Sinne des Arbeitnehmers machen, wird der Arbeitgeber in vielen Fällen den Kürzeren ziehen.

Was bleibt zu tun?
Das Urteil des BAG macht Hoffnung. Die Entscheidung ist als Mutmacher zu verstehen. Lassen Sie sich als Arbeitgeber nicht alles gefallen! Gibt es Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, sollte das mit dem Arbeitnehmer – soweit möglich – unmissverständlich kommuniziert werden. Auch kann parallel Kontakt mit der für den Arbeitnehmer zuständigen Krankenkasse aufgenommen werden. Mithilfe des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) kann in vielen Fällen eine Überprüfung der (angeblichen) Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vorgenommen werden. Diese Praxis hat in nennenswerter Zahl aus Sicht der betroffenen Arbeitgeber Erfolg, mit der Folge, dass der Arbeitnehmer nach einer (weiteren) ärztlichen Prüfung durch den MDK als arbeitsfähig eingestuft wird.

Erich Nagl – Fairplay durchsetzen, grobes Foulspiel verhindern!
Besonders im Gastgewerbe ist ein Arbeitsverhältnis weit mehr als eine bloße Zweckbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das gegenseitige Vertrauen und das gemeinsame, partnerschaftliche Engagement mit Herzblut für die Menschen, denen man eine schöne Zeit ermöglichen will, bildet die Basis der Zusammenarbeit. Dafür ist Offenheit und Fairness im Umgang miteinander unumgänglich. Auch wenn, wie im Kündigungsfall, das Arbeitsverhältnis ein Ablaufdatum hat, müssen diese Werte bis zur letzten Minute von beiden, Chefs und Angestellten, gelebt werden. Eine einseitige Verletzung dieses Vertrauensverhältnisses durch Betrug ist ein grobes Foulspiel an Vorgesetzten, Kollegen und nicht zuletzt den Gästen, die ihre wertvolle (Frei)Zeit in die Hände der Gastgeber legen. Es ist daher für alle eine gute Nachricht, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes im obigen Fall durchgreift.