Ein neues Arbeitszeitrecht kommt – was das für Unternehmer bedeutet

Ein neues Arbeitszeitrecht kommt – was das für Unternehmer bedeutet

Liebe Leserinnen und Leser,

ETL ADHOGA freut sich, Ihnen die Kolumne „Alles was Recht ist“ zu präsentieren. ETL ADHOGA sind die Experten für Steuerberatung in Hotellerie und Gastronomie. Wir unterstützen über 1.000 Hoteliers und Gastronomen deutschlandweit, damit diese sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Gemeinsam mit meinem Kollegen Rechtsanwalt Dr. Uwe P. Schlegel möchten wir Ihnen mit dieser Experten-Kolumne auch in rechtlichen Fragen zur Seite stehen. Wir geben wertvolle Expertentipps und Empfehlungen, klären Missverständnisse auf und zeigen Ihnen, wie Sie Probleme mit Verwaltungen sowie in der Praxis vermeiden können.
Das Arbeitszeitrecht in Deutschland muss sich ändern. Das steht schon seit über vier Jahren fest. Im Mai 2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine solche Entscheidung getroffen. Im Jahr 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dann klar gemacht, dass es in Deutschland eine allgemeine Pflicht aller Arbeitgeber gibt, die Arbeitszeit der Beschäftigten systematisch zu erfassen. Das Gericht hat seine Auffassung unter anderem auf das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) gestützt, genauer auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Nunmehr legt das Ministerium für Arbeit und Soziales einen Gesetzesentwurf eines reformierten bzw. zu reformierenden Arbeitszeitrechts vor. Unsere aktuelle Expertenkolumne fasst die geplanten Änderungen für Sie zusammen. Grundlage für unsere Informationen ist im Wesentlichen der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 18.04.2023. Hier kommen 13 Fragen und 13 Antworten zu einer für die Rechtspraxis sehr bedeutsamen Reform des deutschen Arbeitszeitrechts.

13 Fragen und Antworten zum aktuellen Beschluss

Frage 1: Liegt bereits ein neues Arbeitszeitrecht bzw. reformiertes Arbeitszeitgesetz in endgültiger Fassung vor?

Nein! Es gibt bislang lediglich einen Gesetzesentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (sog. Referentenentwurf vom 18.04.2023). Es bedarf also noch eines weiten Weges bis hin zu einem „fertigen“ Gesetz.

Frage 2: Stehen die Inhalte des zukünftigen Arbeitszeitrechts fest?

Nein! Das ergibt sich bereits aus der Antwort auf Frage 1. Es ist zu erwarten, dass im Rahmen des politischen Willensbildungsprozesses eine ganze Reihe von Änderungen gegenüber dem bisherigen Gesetzesentwurf in die endgültige Fassung des Gesetzes einfließen werden. Eine endgültige Version des neuen Arbeitszeitrechts wird aktuell noch im Jahr 2023 erwartet.

Frage 3: Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen soll zukünftig elektronisch erfasst werden – ist das richtig?

Das kommt darauf an. Grundsätzlich sieht der Entwurf des Arbeitszeitgesetzes vor, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit elektronisch aufzuzeichnen. Aber es gibt Ausnahmen. So können beispielsweise in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung Ausnahmen geregelt werden, dass die Aufzeichnung in nichtelektronischer Form erfolgen darf.

Frage 4: Gibt es in dem geplanten Gesetz Ausnahmen mit Blick auf die Betriebsgröße des Arbeitgebers? Gibt es eine sogenannte Kleinbetriebsklausel?

Ja und nein! Nicht insoweit, als dass eine vollständige Entpflichtung des Arbeitgebers von der Erfassung der Arbeitszeiten erfolgt. Es gibt aber Ausnahmen dahingehend, dass eine Aufzeichnung der Arbeitszeit in Kleinbetrieben (nicht mehr als zehn Arbeitnehmer) in nichtelektronischer Form, also auch händisch erfolgen darf. Ob das praktisch ist, ist natürlich eine andere Frage. Nach dem Stand heute ist davon auszugehen, dass sich die ganz überwiegende Zahl der Arbeitgeber für eine elektronische Aufzeichnung entscheiden wird.

Frage 5: Kehrt die Stechuhr zurück?

Nein! Das fordert niemand. Das verlangen auch die Gerichte nicht. Der Begriff „Stechuhr“ ist eher ein Wort, das in der politischen Diskussion über die Reform des Arbeitszeitrechts verwendet wird. Das Wort wird vor allem von denjenigen gebraucht, die sich gegen eine systematische Erfassung der Arbeitszeit der Beschäftigten in Deutschland aussprechen. Mit der „Stechuhr“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Arbeitszeit mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden sein soll.

Frage 6: Darf die Erfassung der täglichen Arbeitszeit delegiert werden?

Ja, diese Möglichkeit sieht der Referentenentwurf ausdrücklich vor. Die Aufzeichnung darf durch den Arbeitnehmer oder einen Dritten (etwa Vorgesetzte) erfolgen.

Frage 7: Bedeutet die Möglichkeit der Delegation, dass der Arbeitgeber von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung frei wird?

Ja und nein. Der Arbeitgeber muss nicht selbst aufzeichnen, bleibt aber nach dem Gesetzesentwurf für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich. In jedem Fall hat der Arbeitgeber die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu überwachen.

Frage 8: Wird ein Arbeitgeber, der keine Arbeitszeiterfassung durchführt, bestraft?

Ja und nein. Eine Bestrafung im eigentlichen Sinne ist nicht vorgesehen, Es gibt aber im Gesetzesentwurf einen Bußgeldtatbestand. Sollte das auch in der endgültigen Gesetzesfassung so geregelt werden, würde dies die Verhängung einer Geldbuße von bis zu 30.000,00 EUR ermöglichen.

Frage 9: Wann ist mit einer endgültigen Fassung des neuen Arbeitszeitrechts zu rechnen?

Das kann heute seriös nicht gesagt werden. Es ist damit zu rechnen, dass der durch das zuständige Ministerium vorgelegte Entwurf noch zahlreiche Änderungen erfahren wird (siehe dazu auch oben die Antwort auf Frage 2).

Frage 10: Dürfen Arbeitgeber aktuell untätig bleiben und mit der Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer warten, bis ein neues Arbeitszeitgesetz in Kraft getreten ist?

Nein! Die an die Arbeitgeberseite gerichtete Verpflichtung besteht bereits zum jetzigen Zeitpunkt. Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 13. September 2022 verbindlich festgestellt, dass die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aufzuzeichnen ist. Laut BAG ist dies aktuell geltendes Recht. Verstöße gegen diese bereits bestehende Pflicht sind jedoch derzeit nicht sanktioniert, sodass wir hier (noch) von einem „zahnlosen Tiger“ sprechen dürfen.

Frage 11: Wer kontrolliert, ob der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nachkommt?

Arbeitszeitgesetz und Arbeitsschutzgesetz sind Bundesgesetze. Die Überwachung der Bestimmungen der Gesetze ist jedoch Aufgabe der Bundesländer. Diese und die nach Landesrecht bestimmten Arbeitsschutzbehörden (z.B. die Gewerbeaufsichtsämter) sind für die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zuständig und können deshalb verbindliche Entscheidungen im Einzelfall treffen.

Frage 12: Gibt es hinsichtlich der Arbeitszeitaufzeichnungen Aufbewahrungsfristen?

Ja, der Gesetzesentwurf sieht eine Aufbewahrungsfrist von zwei Jahren vor. Aber Achtung: Im Sozialrecht und auch im Steuerrecht kann es längere Fristen für die Aufbewahrung von bestimmten Dokumenten geben!

Frage 13: Gibt es nach dem Referentenentwurf neben dem Arbeitszeitgesetz auch noch Änderungen in anderen Gesetzen?

Ja, insbesondere soll es Änderungen im Jugendarbeitsschutzgesetz geben. Diese unterscheiden sich allerdings nicht wesentlich von dem, was im für alle Arbeitnehmer im Übrigen geltenden Arbeitszeitrecht geregelt werden soll.

Erich Nagl – Arbeitszeit braucht Dokumentation und Flexibilität

Beschäftigte in Deutschland haben im letzten Jahr rund 1,3 Milliarden dokumentierte (!) Überstunden geleistet. Sage nicht ich, sondern das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Hinzu kommt eine unschätzbare Zahl nichtdokumentierter Überstunden. Insofern liegt meines Erachtens auf der Hand, wie notwendig eine korrekte Arbeitszeiterfassung ist – und sei es nur dafür, diesen Zustand, der der hiesigen Arbeitsorganisation nicht das allerbeste Zeugnis ausstellt, immer wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Nun sind Überstunden aber nicht in jedem Fall allein der Willkür des Chefs zuzuschreiben. Ein einfaches Beispiel: Eine Reisegruppe reserviert Plätze in einem Restaurant für 15 Uhr, kommt nun aber staubedingt zwei Stunden später an. Weder für die Gäste, noch für den Gastgeber war das im Vorfeld kalkulierbar. Für Teile der Belegschaft ist in unserem Beispiel nun aber ein Überschreiten der täglichen Höchstarbeitszeit von 10 Stunden nicht auszuschließen. Kein seltener Fall im Gastgewerbe. Doch was tun? Wenn das Problem auf der Hand liegt, warum sollten wir nicht über eine Abkehr von der täglichen Höchstarbeitszeit hin zu einer Wochenarbeitszeit reden? Schließlich spricht auch die EU-Arbeitszeitrichtline von einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit. Wie hoch die ausfällt, wäre Gegenstand der Politik. Dass sie der Überstunden-Sammelei in einigen Branchen effizient etwas entgegenzusetzen hätte, scheint mir allerdings offenkundig.