Alles was Recht ist!

Alles was Recht ist!

Die schönsten Fälle schreibt das Leben!

Warum manche Chefs auf helfende Hände verzichten

Geneigte Leserinnen und Leser. In der Ihnen vorliegenden Ausgabe unserer Experten-Kolumne „Alles was Recht ist“soll heute ein Rechtsfall abgehandelt werden. Und zwar ein Fall, wie ihn nur das wahre Leben schreibt. Natürlich geht es, wie immer in unserer Kolumne, um das Arbeitsrecht. Aber dieses Mal können wir wahrscheinlich nicht nur einen bedeutsamen Bildungsbeitrag, sondern wahrscheinlich auch einen solchen zur allgemeinen Erheiterung abliefern. Und das ist in dem Themengebiet bekanntlich eher die Ausnahme.

Der Fall, den wir betrachten wollen, hat etwas Märchenhaftes. Man mag kaum glauben, dass sich der Sachverhalt tatsächlich so zugetragen haben soll, wie es der im Folgenden zitierten Gerichtsentscheidung zu entnehmen ist.

Das ist nur etwas für „flinke Frauenhände“

In unserem Fall geht es um eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg aus dem Dezember 2022 (LAG Nürnberg, Urt. v. 13.12.2022, Aktenzeichen 7 Sa 168/22). Schon der Leitsatz des Gerichtsurteils verheißt Kurioses. Er lautet wie folgt:

Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber um eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, ´unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände´“.

Was war passiert?

Unser Kläger, ein gelernter Einzelhandelskaufmann, konnte bereits auf ein sehr abwechslungsreiches Berufsleben zurückblicken. Sein Geld hatte er als kaufmännischer Angestellter im Bereich Telekommunikation, als Call Center Agent, als Vermögensverwalter von Grundstücken sowie schließlich als Mitarbeiter im Wahlkreisbüro eines Bundestagsabgeordneten verdient.. Jedenfalls bewarb sich das Multitalent bei dem späteren Beklagten, einem Spielzeugproduzenten, welcher Modelle von Pkw, Lkw und öffentlichen Verkehrsmitteln im Maßstab 1:87 mit 100 bis 150 Einzelteilen produziert und vertreibt. Der Kläger war offensichtlich der Auffassung, dass die ausgeschriebene Stelle genau das richtige für ihn sei. Zwar bot man ihm für die angedachte Arbeit lediglich den gesetzlichen Mindestlohn, aber davon ließ sich unser fachlich breit aufgestellter Hoffnungsträger nicht abschrecken. Umso enttäuschter war er, als er eine Absage erhielt. Die Begründung, die man ihm doch reichlich hartherzig formuliert zukommen ließ, lautete auszugsweise:

Unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Sie für diese Stelle nicht infrage kommen.“

Das hat unseren Bewerber nicht nur enttäuscht, sondern auch verwundert. Immerhin hatte der Spielzeugproduzent ganz ausdrücklich nach einem Mitarbeiter (m/w/d) gesucht (m = männlich, w = weiblich, d = divers). In der über die Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Stellenausschreibung hieß es auszugsweise zudem wörtlich:

Für unsere filigranen Automodelle im Maßstab 1/87 H0 suchen wir Mitarbeiter (m/w/d) für unsere Digitaldruckmaschine.

Die Teile müssen in die Maschine eingelegt und entnommen werden.

Anforderungen:

– Fingerfertigkeit/Geschick

– Deutschkenntnisse in Wort und Schrift

– Zuverlässiges, sorgfältiges und konzentriertes Arbeiten

– Teamorientierung, Belastbarkeit und ausgeprägte Motivation (…)“.

Angesichts dieses Stellenprofils wollte unser Bewerber erkannt haben, dass kaum jemand besser für die Stelle geeignet sein könnte als er selbst. Mit anderen Worten: Wo war das Problem? Er war ein Mann! Aber trotz anderslautender Stellenausschreibung war dieses Geschlecht offensichtlich ein K.o.-Kriterium.

Das Gericht schreitet ein

Das mit dem K.o.-Kriterium wollte das Landesarbeitsgericht Nürnberg allerdings so nicht stehen lassen. Es erkannte in der Ablehnung unseres Multitalents einen glasklaren Fall der Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es verurteilte den „männerfeindlichen“ Spielzeugwarenhersteller daher wegen Verstoßes gegen eben dieses Gesetz zu einer Geldzahlung zugunsten des diskriminierten Bewerbers in Höhe von 2.500,00 EUR. Der Betrag entsprach 1,5 Bruttomonatsgehältern, gemessen an dem, was der Bewerber verdient hätte, wenn er denn – diskriminierungsfrei – eingestellt worden wäre.

Und die angedachte Stelle? Ja, die bekam der Bewerber nicht zugesprochen. Denn darauf hat er nach dem Gesetz keinen Anspruch. In § 15 Abs. 6 Satz 1 AGG heißt es dazu lapidar:

Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot (…) begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg (…).“

Noch mal zurück zu den Händen

Jetzt wird vielleicht der eine oder andere Mann unter Ihnen, geneigte Leser, auf seine Hände geschaut und dabei festgestellt haben, dass er in seinem Leben schon feingliedrigere Griffel gesehen hat. Also: Was ist denn so schlimm daran, dass unser Spielzeughersteller die ja wirklich kleinen Bauteil im Maßstab von 1:87 lieber in bewährte filigrane und zudem dann wahrscheinlich auch flinkere Damenhände geben wollte?

Dazu noch einmal das Landesarbeitsgericht im Originalton:

Die Beklagte [= Spielzeugwarenhersteller] macht geltend, bei der Internetrecherche über den Kläger auf Bilder gestoßen zu sein, die auch seine Hände zeigen würden. Daraus lässt sich jedoch nichts zur Fingerfertigkeit des Klägers ableiten. Zur Größe der Hände des Klägers lässt sich den zur Akte gereichten Bildern ebenfalls wenig entnehmen. Die Prokuristin der Beklagten hat dem Kläger auf Grund ihrer Lebenserfahrung, dass regelmäßig Frauen mit der kleinteiligen Arbeit bei der Beklagten eher zurechtkommen als Männer, abgesagt. Die persönliche Lebenserfahrung der Prokuristin hat damit im Ergebnis dazu geführt, dass sie ihm die Stelle absagte. Der Kläger wurde mithin im Bewerbungsverfahren wegen seines Geschlechtes benachteiligt. Die Gelegenheit, mittels Probearbeit nachzuweisen, dass er zu der kleinteiligen Arbeit bei der Beklagten willens und in der Lage ist, wurde ihm nicht gegeben, eben weil er ein Mann war. Dieses Verhalten ist unmittelbar benachteiligend (…).“

Es ist schon faszinierend. Da hat doch der Spielzeughersteller im Prozess tatsächlich behauptet, er habe im Internet nach den Händen des Bewerbers recherchiert. Für das Gericht aber letztlich kein überzeugendes Argument. Denn die Gleichung „große Hände = keine Fingerfertigkeit“ wollte das Landesarbeitsgericht nicht nachvollziehen. Im Übrigen zeigt unser Fall wieder einmal eindrucksvoll, dass das Internet nichts vergisst. Daher noch ein Praxistipp: Im Zweifel bitte vor der Veröffentlichung von Ganzkörperbildern im Internet zukünftig nicht nur das Gesicht verpixeln, sondern auch die Hände. Und wer auf Nummer sicher gehen will, der verpixelt die Füße gleich mit. Man weiß ja nicht, wozu das mal gut sein könnte.

Erich Nagl – Feingliedrigkeit im Gastgewerbe

Die Probleme des geschilderten Falles kommen uns Branchenvertretern der Hotellerie und Gastronomie sicher durchaus vertraut vor.

Fingerspitzengefühl bei der Besetzung von offenen Stellen ist nicht jedem an die Hand gegeben. Dieses kuriose Urteil wurde gefällt, weil ein abgelehnter Bewerber geklagt und so zu etwas Geld gekommen ist. Das wird Schule machen und der Schaden für den potentiellen Arbeitgeber geht deutlich über das Monetäre hinaus.

Doch ein Glück, dass das Gastgewerbe immer schon ein bunter Querschnitt der Gesellschaft war und Mitarbeiter derzeit händeringend gesucht werden. Die Betriebe sind meist froh über jede helfende Hand, gleich ob Mann, Frau oder divers, gleich ob filigran, grob oder etwas dazwischen. Was an Geschick anfangs fehlen mag, kann rasch erlernt werden. Geduld, Empathie, Motivation und Freude am Beruf zählen so viel mehr. Kommen Sie also bitte niemals auf die Idee, ihre Jobs nach der Größe und äußeren Erscheinungsform der Bewerberhände, der Haarpracht oder Tattoos zu verteilen. Schriftliche Absagen besprechen Sie im Zweifel vor dem Versand mit dem Arbeitsrechts-Anwalt Ihres Vertrauens. Der geschilderte Fall lehrt uns eins: Nicht nachmachen!