Neue Argumente für verringerte Umsatzsteuer

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Neue Argumente für verringerte Umsatzsteuer

Der Autor Dr. Marcel Klinge (42, Foto) war von 2017 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und tourismuspolitischer Sprecher der FDP. Der Politikexperte leitet seit Ende 2021 die Berliner Hospitality-Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG), eine Marke der Union der Wirtschaft e.V. Der Thinktank vernetzt Politik, Verbände und hochkarätige Vertreter aller Wertschöpfungssektoren der Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie (360° Gastwelt) bei strategischen Zukunftsthemen wie Mitarbeitergewinnung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ernährungswende und entwickelt praxisnahe Ideen zur besseren Krisen-Bewältigung.

Die ermäßigte Umsatzbesteuerung auf Speisen wird dauerhaft entfristet – diese Überschrift wollen und werden wir hoffentlich noch in diesem Jahr lesen. Doch bis dahin liegt noch einiges an kommunikativer Überzeugungsarbeit vor uns.

Warum? Die seit 2020 geltende Senkung läuft bisher vor allem unter dem Label „Krisenunterstützung“. Corona hat seinen Schrecken weitgehend verloren und die Energiepreise pendeln sich langsam wieder ein. Das Krisenargument wird also, auch wenn die Lage in vielen Betrieben weiterhin angespannt ist, von Tag zu Tag schwächer. Im Gegenzug hinterlassen die umfangreichen Hilfspakete (nicht nur für die Gastwelt) tiefe Spuren im Bundeshaushalt. Hinzu kommen für 2024 neue Ausgabenwünsche im dreistelligen Milliardenbereich etwa für die überfällige Modernisierung der Bundeswehr und der Deutschen Bahn, die Aktienrente, die Kindergrundsicherung, das Gesundheitssystem oder die Energiewende. Auch die Schuldenbremse soll möglichst eingehalten werden.

Vor diesem Hintergrund überrascht es Kenner des politischen Berlins nicht, dass vermeintliche „Steuersubventionen“ von einigen Koalitions-Politikern und Ökonomen hinterfragt werden. Spätestens, seit der Bundesrechnungshof im Dezember 2022 mahnte, Ausnahmen bei Mehrwertsteuer konsequent zu streichen, ist klar, dass die Entfristung kein Selbstläufer wird.

Die dauerhafte Umsatzsteuer-Senkung auf Speisen ist für zigtausende Gastwelt-Unternehmen eine unerlässliche und überlebensnotwendige Maßnahme. Eine Maßnahme, die unternehmerische Spielräume eröffnet, Arbeitsplätze sichert und Infrastruktur (vor allem im ländlichen Raum) erhält. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass selbst Politiker, die einer Entfristung positiv gegenüberstehen, es intern aufgrund der angespannten Haushaltslage schwer haben (wir sprechen immerhin von gut drei Milliarden jährlich).

Meine Einschätzung ist, dass die bisherigen Argumente einfach nicht in dem Maße verfangen, wie sie es müssten. Sonst müsste die Umsatzsteuer-Reduzierung ja bereits seit Jahren erfolgreich umgesetzt sein. Vielmehr bedurfte es einer Pandemie, damit sich die Politik einen Ruck gab. Wenn es gelingen soll, die Krisenmaßnahme in ein dauerhaftes Konjunkturprogramm zu wandeln, benötigen wir ein Kommunikations-Update. An diesen drei Stellschrauben würde ich drehen:

Machen wir erstens Schluss mit dem monotonen Copy&Paste der immer gleichen Argumente. Das gesellschaftliche Umfeld in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren spürbar verändert und im Bundestag sitzt mittlerweile eine neue Politiker-Generation. Dem sollten wir auch kommunikativ Rechnung tragen. Auffällig ist: Bisher wird sehr technisch, emotionsarm und hauptsächlich aus Unternehmenssicht argumentiert (was ich nicht kritisiere, sondern feststelle). Aber dieser Hebel verfehlt in einer SPD-geführten Ampel weitestgehend seine Wirkung. Hier sollten wir kritisch reflektieren und nachjustieren. Warum koppeln wir die Umsatzsteuer-Entfristung z.B. nicht an die flächendeckende Verbesserung der Einstiegslöhne (in Form einer Selbstverpflichtung)? Hier hat die Gastwelt noch Nachholbedarf – auch wenn jüngst schon viel Positives passiert ist. Das wäre eine Brücke für die SPD, der Mitarbeiter-Themen traditionell besonders wichtig sind. Unserem Anliegen würden wir damit einen erweiterten „Purpose“ geben und gleich noch etwas fürs Arbeitsgeber-Image tun. Diese Idee wird sicher nicht jedem gefallen und auch nicht zu hundert Prozent umzusetzen sein. Aber dass die Belange von Mitarbeitern in der bisherigen Argumentation kaum eine Rolle spielen, ist ein Fehler.

Wo sind (2) die Unterstützer für unser Anliegen außerhalb der Gastwelt? Es profitieren schließlich eine ganze Reihe weiterer Akteure von einer dauerhaften Entfristung – direkt und indirekt. Ich denke etwa an den gesamten Handel, Messestandorte oder Destinationen. Diese Stakeholder kommunikativ enger einzubinden und zu aktivieren, würde unserem Anliegen Schubkraft verleihen.

Und (3) sollten wir das Steuergerechtigkeits-Argument nicht mehr aktiv spielen, weil dieses aus Kommunikationssicht zu „egozentrisch“ wirkt. In der Politik gehen die Auffassungen, was steuerlich gerecht ist und was nicht, sehr weit auseinander – selbst innerhalb einer Partei/Fraktion. Im oft zitierten EU-Ausland gab es bei weitem nicht so hohe Krisenhilfen wie in Deutschland – das muss man ehrlicherweise bei jedem Vergleich berücksichtigen. Smarter ist es, die langfristigen Vorteile und positiven Effekte für unsere Gesellschaft stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Politische Kommunikation am Puls der Zeit spricht eben nicht mehr nur von sich, sondern rückt den gesamtgesellschaftspolitischen Nutzen in den Vordergrund. Und hier haben wir unzählige Beispiele aus der Praxis, mit denen wir punkten können. Ich denke beispielsweise an die niederschwellige Integration von Geflüchteten, die schnelle Bereitstellung von Unterkünften oder die Tatsache, dass wir Orte der Geselligkeit und des sozialen Lebens schaffen, die für unsere Gesellschaft den zwischenmenschlichen Kitt darstellen, ohne die Städte und Dörfer sozial veröden.